Vom Graffiti-Sprayer zum internationalen Künstler

Vom Graffiti-Sprayer zum internationalen Künstler


Von Stuttgart über Miami hinaus in die Welt: Die Bilder von Marc C. Woehr haben schon so manch Kreise rund um den Globus gezogen. „Das war harte Arbeit“, betont der 42-Jährige Künstler und blickt stolz auf über 25 Jahre kreatives Schaffen zurück. Ein Porträt über einen ehemaligen Graffiti-Sprayer, der den Sprung in internationale Galerien geschafft hat.


Wer Marc Woehr in diesen Tagen in seinem Atelier besucht, mag auf den ersten Blick fast denken, er sei am Puzzeln. Der Stuttgarter Künstler kniet inmitten eines Sammelsuriums an kleinen, geometrischen Holzteilchen. Immer wieder legt er die gelaserten Elemente um und positioniert sie systematisch vor sich. Hat alles seine Richtigkeit, greift er schließlich zur Sprühdose. Jedes einzelne wird in händischer Detailarbeit bemalt. Schwarz, weiß, grau oder orange – Farben, die der 42-Jährige für seine Holzwerke am liebsten nutzt.

„Midnight rockers, city slickers, gunmen and maniacs. All are featured on the freak show and I can’t do nothing ‚bout that“ – im Hintergrund ertönt leise „Safe from harm“ von Massive Attack. Es herrscht Konzentration in seinem Atelier im Herzen Stuttgarts. Immer wieder hält er inne, wirft einen prüfenden Blick auf die bunten Elemente. „Das muss alles richtig trocknen, sonst wird das nichts“ kommentiert er und widmet sich sogleich dem nächsten. Schon bald wird er die unzähligen Einzelteile zu einem seiner unverkennbaren Holzobjekte zusammenfügen, die längst über Deutschlands Grenzen hinweg zu seinem Markenzeichen geworden sind. Dem Künstler über die Schulter zu schauen, entlockt mir Faszination und Wehmut zugleich. Hier strahlt jeder Quadratmeter Kreativität, Kraft und Ruhe aus. So, als habe sich der Mann mit der markanten Brille bewusst einen sicheren Rückzugsort geschaffen, nachdem er so viele Jahre lang auf der Straße verbracht hat.

Zeitsprung. Marc Woehr wächst im schwäbischen Neckarsulm auf. Das kleine 28.000 Seelenstädtchen im Norden Baden-Württembergs hat für den umtriebigen Jungen wenig zu bieten. Stets auf der Suche nach mehr Raum, Freiheit und Ausdruck schließt sich der 15-Jährige einer Gruppe von Jugendlichen im nahe gelegenen Heilbronn an. Schnell etabliert sich der selbstorganisierte Jugendtreff als beliebter „Hot Spot“. Hier dominieren HipHop und selbstgebaute Quater-Ramps den Alltag der jungen Skater. Bis dann einer der Jungs den ersten Edding mitbringt und anfängt zu taggen. Das findet der junge Marc cool und faszinierend: „Ich habe nicht groß nachgedacht und es einfach nachgemacht“, so der Künstler heute.

Mit dem ersten eigenen Strich kommt dann auch der Stein ins Rollen. Das Malen unter freiem Himmel bestimmt fortan seinen Alltag. Graffiti wird zur Leidenschaft. Eine bewegende Zeit, an die er sich noch heute gerne zurück erinnert: „Wir waren nur noch unterwegs. Einmal haben wir am helllichten Tag in einer Unterführungen gesprayed. Die Passanten sind einfach vorbeigegangen. Es hat schlicht niemanden gejuckt, weil damals noch alles neu war und niemand Graffiti kannte.“

Getreu dem Motto „Schreib deinen Namen an die Wand und zeig allen, dass es dich gibt“ stand für ihn damals weniger das Schaffen von Kunst im Fokus als vielmehr das Ziel, sich an auffälligen Plätzen zu verewigen. Mit den Jahren wandelte sich allerdings sein Kunstverständnis und als dann der Drang nach Ruhe größer wurde, begann für Woehr die eigentliche Schaffenszeit. 2002 war sein Ziel klar definiert: Kunst machen. Und die Werke? Die sollten den Weg in internationale Galerien finden.

Heute werden Woehr’s Bilder weltweit gezeigt, darunter in Los Angeles, Washington DC, Montpellier und Paris. Der Künstler ist gefragt: Auf der Art Basel in Miami Beach gestaltete er eine 40 Meter lange Fassade, lieferte Werke zum 20. Jahrestag des Mauerfalls und wurde anlässlich der FIFA Weltmeisterschaft in Südafrika eingeladen, Deutschland mit einem Bild im Rahmen der Wanderausstellung „FIFA Fine Art“ zu repräsentieren. Für den neuen SEAT Ateca gestaltete er jüngst den weltweit größten Urban Art Parcour in Barcelona.

Marc Woehr ist ein Paradebeispiel eines Künstlers, der mit viel Ehrgeiz den Weg von ganz unten nach ganz oben geschafft hat. Und obwohl für ihn heute vielmehr sein Atelier anstelle der Straße zum Terrain kreativer Arbeit geworden ist, bleibt er seinen künstlerischen Wurzeln bis heute treu: Seine Inspiration zieht er nach wie vor aus dem urbanen Raum. Die Straße als kleinste Einheit, die Architektur einer Stadt als großes Ganzes – in seinen Werken hat er sie längst durchdrungen und in alle Richtungen untersucht.


Erschienen im Meininger Magazin „On The Move #8“ (ab S.44), dem Lifestyle- und Reisemagazin der MEININGER Hotels.